Georg Etscheit / 05.05.2024 / 14:00 / Foto: Heipedia / 7 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Königinpastetchen

Pasteten gibt es in Deutschland eher selten – in Frankreich sind sie dafür umso populärer.

Schon die Zutatenliste wirkt respekteinflößend: Mehl, Butter, Olivenöl, Eier, Salz, ungesalzene Pistazien, Madeira-Gelee, verschiedenes Fleisch von Kalb und Schwein, außerdem Wurstbrät sowie frische Gänse- oder Entenleber, Zwiebeln, Knoblauch, Karotten, Zitronensaft, Cognac, Weißwein, ferner Gewürze wie Nelken, Muscat, Ingwer, Salz, Pfeffer, Zucker sowie ein Kräutersträußchen (Bouquet garni). Auch die Zubereitung hat es in sich, die Herstellung eines Blätter- oder Brotteiges, eines Gelees, der Fleischfarcen, Fleischteile und Gemüse, die in verschiedenen Schichten kunstvoll in eine spezielle Kastenform gefüllt werden müssen. Das Ergebnis stundenlanger Schufterei in der Küche nennt sich dann Pâté en croûte Richelieu, ein Meisterwerk französischer Pastetenkunst, benannt nach dem genussfreudigen Kirchenfürsten und Staatsmann Kardinal Richelieu, der unter Ludwig XIII. die bestimmende Figur der französischen Politik war.

Auch ambitionierte Hausfrauen oder Hobbyköche in Frankreich scheuen oft die mit der Herstellung einer klassischen Pastete verbundene Mühsal. Sie überlassen die Arbeit gerne einem gewissenhaften Charcutier oder Traiteur. In Frankreich gibt es so gut wie kein Fleisch- oder Feinkostgeschäft, das nicht diverse Pasteten und Terrinen effektvoll und verführerisch in seiner Auslage präsentieren würde. Die kunstvoll arrangierte Zubereitungen unterscheiden sich nicht nur, was die jeweilige Füllung (Fleisch, Wild, Fisch, Gemüse) anbelangt, sondern auch in der Art ihrer Umhüllung oder Nicht-Umhüllung: Bei der klassischen Pâté en croûte Pasteten ist es ein gebackener Teigmantel, der den Ingredienzien ihre Form gibt, eine Paté wird nur von einem Speckmantel umschlossen, während bei Galantinen und Ballottinen die Zutaten von einem entbeinten und ausgenommenen Tierkörper bzw. einer Haut zusammengehalten werden. Terrinen gart man in einer speziellen Schale, einer Terrine eben, man bezeichnet sie auch als Napfpasteten. 

In Deutschland sind Pasteten so gut wie unbekannt – bis auf eine Ausnahme, auf die ich später eingehen werde. Möglicherweise fehlt den Deutschen einfach der Sinn für Ästhetik, denn Pasteten sind oft mehr eine Augenweide als ein großes Geschmackserlebnis. Dabei gibt es Pasteten schon seit der Antike – Fleischvorräte mit einer Schicht aus Fett oder Teig einzuhüllen, war eine Form der Konservierung. Die Renaissance gilt als Blütezeit der europäischen Pastetenbäckerei, als Seefahrer wie Kolumbus, Magellan und Vasco da Gama neben überseeischem Gold auch Gewürze nach Europa brachten. Die Köche des Adels, wohlhabender Kaufleute und des Klerus, die sich den Luxus importierter Gewürze leisten konnten, verwendeten sie vorzugsweise in repräsentativen Pasteten. Um 1533 soll Katharina von Medici im Gefolge ihrer Heirat mit dem nachmaligen König Henri II. die Kunst der gehobenen Pastetenherstellung nach Frankreich gebracht haben. Von Paris aus verbreiteten sich die Leckereien dann über ganz Europa. Antonin Carême erhebt in seinem Buch Art de la cuisine Française au XIXème siècle Pasteten sogar in den Rang der „schönen Künste“.

Auch bekannt als Ragout fin

Ungeachtet ihrer glorreichen Tradition waren Pasteten auch in Frankreich längere Zeit auf dem Rückzug, vor allem in der Edelgastronomie. „Zu altbacken, zu fetthaltig“, befand Gilles Verot, Edelcharcutier aus Paris und eine Instanz auf dem Gebiet der Pasteten-Couture. Bis ein seit 2009 alljährlich ausgetragener Wettbewerb für neues Interesse sorgte und laut Verot einen Pastetenboom auslöste: die Weltmeisterschaft der Pâté-Croûte, veranstaltet im südfranzösischen Tain-l’Hermitage, Heimat eines berühmten Rotweins sowie der nicht minder berühmten Valrhona-Schokolade. Bis nach Deutschland hat es der Boom noch nicht geschafft. Dabei kann man sie zur Not sogar auf der Straße im Gehen essen, die mittlerweile beliebteste Art und Weise, wie Deutsche ihre Nahrung zu sich nehmen. Mit einem Königinpastetchen sollte man das nicht versuchen, womit wir bei jener Form der Pastete angekommen wären, die auch in Deutschland zu großer, wenn auch schwindender Popularität gefunden hat. 

Es handelt sich dabei um becherförmige Gebilde vorzugsweise aus Blätterteig, in die man ein Ragout aus hellem Fleisch – Kalb, Geflügel – füllt, in Frankreich gehört klassischerweise noch Kalbsbries dazu. Die Soße wird gewöhnlich auf Basis einer hellen Mehlschwitze hergestellt. In Frankreich heißt dieses Gericht Vol-au-vent und findet sich auf den Speisekarten vieler Bistros. Hierzulande sind Königinpastetchen, auch bekannt als Ragout fin, dagegen selten geworden, seit Traditions-Cafès, wo sich vorzugweise ältere Damen mittags einen kleinen, warmen Imbiss gönnten, mehr oder weniger ausgestorben sind. Dort wurde zum Königinpastetchen stets auch ein Fläschchen Worchestershiresauce serviert.

Zum sättigenden Hauptgericht wird ein Königinpastetchen, wenn man das Ragout auch großzügig um die Blätterteigform herum platziert und das ganze vielleicht noch – als Abbitte für die verpönte Mehlschwitze – mit einer echten Sauce Hollandaise krönt. Hier wird der Teig ausnahmsweise mitgegessen, wenn der Koch darauf geachtet hat, das Ragout erst unmittelbar vor dem Servieren einzufüllen. Sonst wird ein zäher Matsch daraus, ebenso undelikat wie die dicke Teigkruste einer Pâté en croûte, selbst wenn sie nach dem Kardinal Richelieu benannt ist. Zuletzt noch ein nicht unwichtiger Punkt: Soll man die schützende Teig- und Geleehülle einer Pastete mitessen oder sie lieber beherzt dem Mülleimer anvertrauen? Ich plädiere für letzteres, denn wer isst schon die Verpackung mit…

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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Martina Bahr / 05.05.2024

Ich lebe an der dänischen Grenze und da der Däne Pasteten liebt, finden man in jedem Supermarkt “Luksus Tarteletter”, die man wirklich mit Allem füllen und überbacken kann.  Schnelle leckere Alternative,  aus meinem Leben nur sehr widerwillig wegzudenken ;-)

Gertie Seri / 05.05.2024

Ragout fin aus Kalbfleisch und Huhn, mit Kapern und Champignons, die “Mehlschwitze” mit Eigelb und Butter verfeinert, in Schalen von Jakobsmuscheln statt in Blätterteig und mit Semmelbröseln und Butterflöckchen bestreut im Ofen überbacken, mit Zitronensaft beträufelt, gibt es jedes Jahr bei uns zu Weihnachten. Kein Feinschmecker und kein sonstigen Kostverächter redet mir das aus, solange meine Familie es mag.

Gerd Maar / 05.05.2024

Btw- Die Bouchées à la reine sind aber nur halb so groß wie vol-au-vents. Sagt zumindest die Wikipedia, die auch das gleiche Foto wie der Artikel hat…

Reinhard Ickler / 05.05.2024

Leider muß ich schon wieder besserwisserisch aktiv werden - aber die Sauce heißt nun einmal Worcestershire… gesprochen übrigens “wuster”

Sirius Bellt / 05.05.2024

Ich habe diese Pasteten mit dem lasch gewürzten Huhn (und ein paar grüne Erbsen) in Mehlschwitze schon als Kind gehasst. Das ist kein Essen, sondern die pure Beleidigung für meine Geschmacksnerven. Einfach nur fürchterbar.

Thomas Szabó / 05.05.2024

Statler & Waldorf von der Muppet Show würden wohl lästern: Die Luxusversion des Kebap!

Gerd Maar / 05.05.2024

Was ist schon dieser verkrustete Richelieu gegen die edelste aller Pasteten: das deutsche Würstchen im Schlafrock.

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