Von Norbert Jessen.
In Tel Aviv begann die diesjährige Europawoche überraschend martialisch. Mit Kampfsport-Training auf dem Vorplatz zum Habima-Theater. Umrahmt von himmelblauen EU-Sternen-Flaggen, denn finanziert wurde die öffentliche und kostenlose Lehrstunde aus einem Topf der EU. Und die spendet sonst nur für friedensstiftende oder israelkritische Veranstaltungen, die in Brüssel und Straßburg von ein und derselben Kostenstelle verwaltet werden. Im vorliegenden Fall konnte aber eine Ausnahme gemacht werden, denn die Maßnahme galt Frauen die zwischen dem Jordan und Mittelmeer leben und häufig Angriffen ausgesetzt sind. Was in Brüssel und auch in Straßburg allseits bekannt ist. EU-Wochen in Vorderasien machen so einen Sinn.
„Selbstverteidigung wäre die richtige Bezeichnung“, erklärte Judith Sidikman den neugierigen Zuschauern kurz nach der Eröffnungsrede von EU-Botschafter Lars Faaborg-Andersen, der noch von Kampfsport gesprochen hatte. Sie arbeitet als Ausbilderin für die El-Halev-Organisation, die Frauen neben Kampftechnik auch Verhaltensmuster beibringen will, mit denen sie auf Gewalt nicht nur reagieren, sondern sie auch abschrecken können. Wer am Strand neben der Tel Aviver Marina schon einmal das Public Dancing gesehen hat, weiß in etwa, was auf dem Theater-Vorplatz vor dem blauen, sterngüldenen Fahnen-Spalier ablief.
Einige der teilnehmenden Tel Aviverinnen kamen durch die Werbung angelockt und in passender Sportkleidung. Andere traten im Abaya-Mantel und farblich abgestimmten Hijab an. Auch jüdisch-orthodoxe Kopftücher waren zu sehen, vor allem unter den Ausbilderinnen. Wenn die EU in Israel Geld spendet, dann für alle, soll heißen Juden und Araber. Was dann auch sichtbar sein muss. Passantinnen, die der Zufall vorbeiführte, zogen Schuhe mit hohen Absätzen aus und traten spontan in den sich langsam weitenden Kreis kickender und boxender Frauen. In unregelmäßigen Abständen wurden dazu Urschreie ausgestoßen. Zum Schluss zertrümmerten die ganz Eifrigen noch einen Betonblock... OK, einen etwas flach geratenen Baustein, aber doch mit der bloßen Faust.
Nach dem dritten Mal ist Schluss
„Gewalt gegen Frauen muss an allen Fronten bekämpft werden“, hieß es in der Vorankündigung des EU-Vertretungsbüros. Was in Israel etwas langsam, aber doch mit spürbarer Wirkung verstanden wird. Im Vergleich zum neuen israelischen Gesetz gegen Stalking und sexuelle Belästigung liest sich das StGB wie eine Gebrauchsanweisung für hormongetriebene Aufreißer. Wer in Israel auch nach der dritten Ablehnung einer weiblichen Zielperson weiter anmacht, kann mit polizeilicher Festnahme rechnen. Ob die Gewalt gegen Frauen dadurch zurückging, lässt sich nur schwer feststellen. „Aber Bewusstsein, Selbstvertrauen und die Zahl der Strafanzeigen sind dadurch gestiegen, auch in der arabischen Gesellschaft,“ meinte eine der spontanen Teilnehmerinnen, die sich als Rechtsanwältin und Araberin ohne Hijab outete.
Und noch etwas stand in der Vorankündigung: „Es passiert überall und in jeder Gesellschaft.“ Gut also, dass es eine EU gibt, die in Nahost für mehr Sicherheit sorgt. Neugierig geworden, suchte ich das EU-Original zum Tel Aviver Public Female Empowerment. Nicht die gebührenpflichtigen Kurse im privaten Sportzentren und VHS-Kellern in Hamburg-Harburg oder Duisburg-Marxloh, sondern öffentliche, von der EU-finanzierte und für die Teilnehmerinnen kostenlose. Google gab sich große Mühe, wurde aber nur in Banares fündig: „Women‘s Dance and Self Defense for Peace and Empowerment“. Na also, Indien - da ist es ja auch dringend notwendig. Aber ohne EU-Gelder, die im heiligen Ganges-Fluss versinken würden.
Auch in den eigenen Staaten kann sich die EU solche Unkosten sparen. Dort ist die Gewalt gegen Frauen ja nicht mal ein Randthema. Schade, vor dem Hintergrund der malerischen Marktplätze Europas sähen solche Kampfsportübungen wirklich schön bunt aus. Und erst auf der einen grauen oder braunen Domplatte, wo sich Menschen treffen, um ihre Integration in die deutsche Spaßgesellschaft zu feiern