Ein ZDF-Film kümmert sich – weltanschaulich selbstverständlich auf modernstem Stand – ums Geschlecht.
Die Älteren unter den Lesern werden sich noch erinnern: In den 70er Jahren gab es eine Spielfigur namens „Big Jim“. Von Mattel. Für Jungs. Eine ganze Garde an „Big Jims“ wurde von Mattel kreiert: Dr. Steel mit Narbengesicht und einer silbernen Hand, Big Jeff, der Surfer oder Big Josh, der Holzfäller. Dazu jede Menge Zubehör: Ein Helikopter mit Seilwinde und Löschvorrichtung, ein Jeep, ein Camper mit allem möglichen Krimskrams, und sämtliche Spielfiguren sahen von Gesicht und Körperbau schwuler aus als die Betrinker in einer Szenekneipe in Kreuzberg. Und wir Jungs fanden die toll. Zumal wir gelegentlich „crossovers“ mit den Barbies der jüngeren und älteren Schwestern hatten. Niemand, nicht einmal wir selbst, wäre aber mit 10 Jahren auf die Idee gekommen, deswegen unsere Sexualität infrage zu stellen. Und unsere Eltern gleich gar nicht. Jungs spielten mit Puppen, Mädchen bauten aus Lego Häuser. Übrigens nur mit den klassischen Steinen, ohne den ganzen Firlefanz, den es heute gibt. Den Rest besorgte die kindliche Phantasie.
Es hat auch keinen interessiert, ob Mädchen Fußball spielen oder auf Bäume klettern, wer draußen dabei war, der war draußen dabei und erwarb sich das Recht, mit dem Bonanza-Bike gegen Bäume zu schallern. Wie naiv und dumm wir waren…
Auch wenn das jetzt ein wenig etwas von „Oppa erzählt wieder vom Kriech“ hat, die genannten Beispiele sollen nur zur Einordnung dienen, was daraus wurde.
Das ZDF hat Gabi ausgegraben. „Gabi trägt gerne Hoodies, spielt Fußball und Lego.“ So weit so gut oder so egal. Dann trägt Gabi eben gerne Hoodies, spielt Fußball und Lego. So what? Soll sie doch! Ich habe ja auch mit Puppen gespielt und „Hanni und Nanni“-Kassetten gehört und „Black Beauty“ geguckt. Ohne mich zu fragen, ob ich vielleicht ein Mädchen bin (diese Frage habe ich erst gestellt bekommen, als ich mich weigerte, als Mutprobe in Badehose durch ein Brennesselfeld zu laufen. Ich habe mich damals spontan für eine kurzfristige Geschlechtsänderung entschieden. Ich bin ja nicht bescheuert gewesen!). Meine jüngere Schwester hat Big Jim auch gelegentlich zu ihren Barbie-Partys eingeladen und Fußball gespielt. Völlig egal (okay: nicht ganz; dass sie mir mal meine Lego-Burg abgerissen hat, um eine Scheune für ihre Bauernhoftiere zu bauen, hängt uns beiden heute noch nach!).
Warum sollte Gabi mit ihrem Geschlecht hadern?
Es ist aber eben nicht der Gabi oder dem ZDF egal. Denn wie das ZDF auf X weiter verkündet: „Sie hadert mit dem Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde, und der damit verknüpften starren Rolle in der Gesellschaft.“
Als ich die Meldung las, muss ich sehr laut „Seid Ihr irgendwie behämmert oder habt Ihr Lack gesoffen?“ ausgerufen haben, denn der Schatz und die Töchter drückten sich erschrocken in die Küchenecke. Ein Geschlecht wird bei der Geburt nicht „zugewiesen“, sondern ergibt sich aus der Ansicht der sekundären Geschlechtsmerkmale.
Das eigentlich Spannende am Einleitungstext ist aber: Warum sollte Gabi mit ihrem Geschlecht hadern? Hat sich irgendjemand, irgendjemand, vor sie hingestellt und gesagt: „Mädchen spielen aber weder Lego noch Fußball und sie tragen auch keine Hoodies“? Sollte es im Jahr 2024 noch Leute geben, die noch konservativer als unsere Eltern und Lehrer zwischen 1960 und 1980 waren? Oder ist es Gabi selbst, die lieber den Millennium-Falken als das Lego-Traumschloss zusammenpuzzelt? Wieso hadert Gabi mit ihrem Geschlecht? Wer hat ihr dazu geraten, mit ihrem Geschlecht zu hadern?
Im Teaser zum ZDF-Beitrag heißt es dann weiter: „Gabi will einfach nur Gabi sein. So einfach, wie er klingt, ist der Wunsch nicht. Je näher die Pubertät rückt, umso schwieriger wird es, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wer bin ich?“ Im Verlauf des rund einstündigen Films lässt sich die schätzungsweise 13-Jährige einen Kurzhaarschnitt verpassen, der bei den Marines als „zu kurz“ durchgehen würde und ihr diesen typischen Kampflesbenlook verleiht. Alles, um herauszufinden, wer sie ist. Dates mit Jungs werden dadurch etwas schwieriger. Mit Mädchen übrigens auch. Ein Boomer wie ich hätte ihr gesagt, dass sie einfach ein Mädchen ist, das „gerne Hoodies trägt und Fußball und Lego spielt“ und damit das Thema beendet.
Denn was letztlich aus Gabi wird und wie sie ihre Sexualität entwickelt, wird sie, da bin ich ganz sicher, eher über kurz als über lang herausfinden, denn typisches Rollenverhalten gibt es nun einmal kaum. It´s always both of it und das ist auch gut so. Böse gesagt, möchte ich behaupten, dass sie tatsächlich „im falschen Körper“ geboren ist, wenn sie mit 20 die Abseitsregel erklären kann und im Kühlschrank die Butter nicht findet, obwohl sie direkt vor ihrer Nase steht.
Egal ob Gabi oder Jörg
Ich würde versuchen, Gabi einfach ihr Zeug machen zu lassen, denn die Pubertät ist voll von Überraschungen und Unsicherheiten, und jeder, der sie durchlebt hat – das dürften wir alle sein –, wurde schon gemobbt und hat gemobbt. Warum? Weil es dazugehört. Weil es die Persönlichkeit bildet. Das fängt bei einem Teenager mit dem Blick morgens in den Spiegel an, wenn auf der ohnehin großen Nase ein riesiger, wunderbarer Pickel in der Größe des Vesuvs prangt und wie ein horizontaler Leuchtturm aussieht. Dann weiß er – das wird heute sehr witzig in der Schule. Nur nicht für ihn.
Aber das gehört dazu. Zwei Tage später, wenn die Reste des Vesuvs auf dem Badezimmerspiegel hängen, wird unser Heranwachsendes (um es geschlechtsneutral auszudrücken) sich furchtbar schrecklich darüber amüsieren, dass seiner Banknachbarin ein einziges und einsames schwarzes Barthaar zwischen Nase und Oberlippe wächst. Dann darf die für die nächsten drei Tage mikroaggressiviert und traumatisiert nach Hause gehen, bis der Nächste/die Nächstin an der Reihe ist. So ist es eben. So what? Der Pickel und das Barthaar.
Wie sang Markus einst in „KlingKlang Schicksalsmelodie“ (im Lied heißt die Protagonistin lustigerweise „Gaby T.“)? „Mit 12 schon konnt sie alles, hat Mofas repariert, doch sie wollte weiter, drum hat sie auch studiert. Mit 20 dann in Garmisch, ist es mal passiert. Sie trank auf Ex ´ne Halbe, alles hat applaudiert.“ Genau. Und wenn hier ein Mofa frisiert werden musste, dann haben wir das zu einer entsprechend kompetenten Person gebracht. Und ob die nun Gabi oder Jörg hieß, war dabei völlig egal. Mann, waren wir unsensibel. Lasst Gabi mit Eurem „queeren Diversity“-Geschlechter-Scheiß doch einfach in Ruhe. Das wird schon. Sie wird alles selbst für sich herausfinden. Wenn ihr nicht dauernd jemand die Frage ins Ohr bläst, ob sie wirklich ein Mädchen ist, nur weil sie „gerne Hoodies trägt und Fußball und Lego spielt“.
(Weitere geschlechtsunspezifische Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.