Erik Lommatzsch, Gastautor / 22.11.2023 / 10:00 / Foto: Pixabay / 63 / Seite ausdrucken

Trübes zu einem trüben Tag

Buß- und Bettag ist heute. An diesem protestantischen Feiertag, in Sachsen sogar arbeitsfrei, lohnt ein näherer Blick auf das evangelische Kirchenpersonal. Da offenbart sich eine lange Liste derer, die sich zur Regierungspropagandaschleuder machen.

Buß- und Bettag ist heute. War da nicht was mit In-sich-gehen, Besinnung, Beten natürlich und, ein großes Wort, Umkehr? Zumindest für die Protestanten. Dieser evangelische Feiertag ist jetzt sicher nicht so direkt der fröhlichste, und dann auch noch platziert im November, zwischen Volkstrauertag und Totensonntag. Die trübe Woche. Nun muss man sich bestimmt nicht pausenlos geißeln, aber einmal im Jahr so ein kalendarischer Anschub zum Nachdenken ist vielleicht auch nicht die schlechteste Idee. Allerdings dürfte sich die mentale Anstrengung oder gar Belastung für die meisten wohl eher in Grenzen halten, sofern der Buß- und Bettag überhaupt wahrgenommen wird. Arbeitsfrei – das wenigstens führt ab und an zur Frage nach dem „Warum?“ – ist er lediglich in Sachsen.

Die persönliche Bedeutung wird jeder dem Tag selbst beimessen, je nach religiöser Musikalität (um eine Anleihe bei Max Weber zu nehmen). Aber für die evangelische Amtskirche sollte er dann schon irgendwie wichtig sein. Ein wenig Innehalten und Reflexion könnte offenbaren, wie weit man sich vom Ursprung entfernt oder vielleicht gar bereits abgekoppelt hat. 

Bleiben wir bei unseren Betrachtungen zunächst in Sachsen, dem Bundesland, welches einem trotzigen Kurt Biedenkopf, seinerzeit Ministerpräsident, den Erhalt des Tages als „richtigem“, sprich arbeitsfreiem Feiertag verdankt. Da werden derzeit in Leipzig anlässlich des Dienstantritts von Johann Sebastian Bach als Thomaskantor vor 300 Jahren am Ende des Monats die wöchentlich komponierten Kantaten als Konzert aufgeführt. So auch am 29. September in der Thomaskirche, jeweils mit dem Verlesen der entsprechenden Bibelpassagen durch die Pfarrerin. Formal natürlich kein Gottesdienst, aber doch deutlich erkennbar eine Veranstaltung der Kirche. Dazwischengeschaltet war eine „Ansprache“, die Bezug zum Aufgeführten haben sollte. Geladener Redner: Professor Doktor Christian Drosten, den wohl die wenigsten bisher mit Bach in Verbindung gebracht hätten.

Praktischerweise war in einem Kantatentext von Krankheit die Rede, so dass keinerlei Zurückhaltung mehr nötig war. Nicht auf, aber direkt vor der Kanzel verkündete der Professor Doktor noch einmal die ganze offizielle Corona-Agenda: Mehr auf die Wissenschaft hören solle man, der Wert der Freiheit sei von einigen deutlich zu hoch veranschlagt worden, und natürlich war alles richtig, nur einige Deppen (den Begriff hat er nicht gebraucht, aber gemeint) hätten sich den Maßnahmen verweigert oder diese gar bekämpft. Durch den Rahmen der „Ansprache“ erfolgten die Ausführungen nicht nur mit indirektem kirchlichen Segen, sondern expliziter kirchlicher Unterstützung. Dem – immerhin auch zahlenden – Konzertbesucher wurde in der Thomaskirche ein unsägliches Stück Politik aufgezwungen.

„Ein Feind ist zu unterscheiden vom Gegner“

Hier handelt es sich nur um ein Beispiel aus der langen Liste, welches zeigt, wie sich die evangelische Kirche zur Regierungspropagandaschleuder macht. Ohne Not und freiwillig. Und es gibt noch die andere Seite, die Liste mit den Leerstellen. Zum zentralen Gedenken des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Sachsen am diesjährigen Volkstrauertag hat es die – selbstverständlich geladene – evangelische Kirche nicht geschafft, wenigstens einen (!) Vertreter zu entsenden, weder zur Kranzniederlegung auf dem Dresdner Nordfriedhof noch zur Feierstunde im Landtag. (Nebenbei: Die Katholiken waren auch nicht sichtbar, jedoch mehrere Rabbiner). Die völlige Ignoranz eines derartigen offiziellen Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaften durch die amtlichen Vertreter des deutschen Christentums trägt erheblich zur Frage nach dem derzeitigen Selbstverständnis der Kirche bei.

Jeder, den diese Dinge bewegen, kann etliche ähnliche Eindrücke anführen. Die Entkernung und Transformation sind wohl weit mehr für die Erosion der Institution Kirche verantwortlich zu machen als Missbrauchsfälle oder schwindende Religiosität (letzteres ist eine schöne Formulierung, um jeglichem Verantwortungsvorwurf zu entgehen), die derzeit gern als Begründung für die immense Mitgliederflucht angeführt werden. Verwiesen wird regelmäßig auch auf die Kirchensteuer – ist irgendwann einmal jemand, dem die Sache tatsächlich am Herzen lag, ausschließlich wegen dieser doch eher geringen Summe aus der Kirche ausgetreten?

Nein, es sind Dinge, die abstoßen. So etwa auch lautstark verkündete, archaische Gegner-Feind-Klassifizierungen, Und weil der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, nicht ganz sicher war, ob seine diesbezüglichen martialischen Ausführungen zu sehr vom „Trump-Schock“ verursacht waren, hat er sie gleich mehrfach veröffentlicht, natürlich nur, um dem Leser noch einmal ein Urteil über den Text zu ermöglichen

(Kostprobe: „Ein Feind ist zu unterscheiden vom Gegner. Der Gegner bewegt sich im selben Rahmen, teilt viele Grundüberzeugungen. Er ist ein Konkurrent, mit dem man sich streiten muss, manchmal mit Wut, vor allem aber mit besseren Argumenten ... Der Feind ist etwas anderes als ein Gegner: Er hasst uns und will ein anderes System. Deshalb beschränkt er sich nicht darauf, an den herrschenden Verhältnissen eine präzise Kritik zu üben, sondern versucht, ihnen die Legitimität abzusprechen. Seine Waffe ist die kommunikative, psychische oder körperliche Gewalt. Deshalb muss man mit ihm anders streiten als mit dem Gegner: Er darf keinen noch so kleinen Anteil an der Macht erhalten, sein Sieg ist unter allen Umständen zu verhindern.“)

Auch beim „Klima“ ganz weit vorn

Annette Kurschus, die als Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche Nächstenliebe mit Impfbereitschaft gleichsetzte oder Migranten aufnehmen will, bis es „zur Selbstaufgabe kommt“, wurde unlängst hier thematisiert – im Zusammenhang mit ihrem Rücktritt, der allerdings nicht wegen dieser Positionen, sondern aufgrund des Vorwurfs der Mitwisserschaft und des Schweigens in einem Missbrauchsfall erfolgte. Kommissarisch hat Kirsten Fehrs den Ratsvorsitz übernommen. Frau Fehrs ist Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und teilt die Nächstenliebe-Auffassung ihrer Vorgängerin voll und ganz – wie sie im November 2021 erklärte: „Aber trotzdem sollen wir in der Welt Verantwortung übernehmen. Darum rufen wir zum Impfen auf, und ich finde es richtig, wenn kirchliche Veranstaltungen und auch manche Gottesdienste nun im 2G-Format angeboten werden. Denn wer geimpft ist, hat Verantwortung übernommen.“

Brav. Es sei unterstrichen: „2G“ hieß für eine Reihe von Christen Ausschluss aus dem Gottesdienst – für richtig befunden von einer Bischöfin. Auch beim „Klima“ ist Bischöfin Fehrs, ebenso wie Kurschus, ganz weit vorn. Nun ist Fehrs zunächst nur vertretungsweise im Amt, und möglicherweise übt sie das Amt nicht längerfristig aus. Aber bei den Ratsvorsitzenden – erinnert sei hier an Heinrich Bedford-Strohm – ist es wie mit den Bundespräsidenten: Man denkt immer, es kann nicht noch schlimmer kommen. Doch, kann es.

Die unsägliche – und in der Regel entbehrliche, gegenüber einem Teil der eigenen Mitglieder stigmatisierende und ausschließende – politische Positionierung bei immer weiterer Entfernung vom eigentlichen Anliegen legt den Schluss nahe, einfach auszutreten und damit den Laden sich selbst zu überlassen. Dem sei hier eine Leserzuschrift auf einen Welt-Artikel entgegengestellt: „Jedem, der über einen Kirchenaustritt nachdenkt, sei gesagt, dass man das nur einmal tun kann und dass es am Ende niemanden interessiert. Viel besser ist es, zu allen Gelegenheiten den Finger zu erheben und zu streiten. So mache ich das bei jeder Gelegenheit als Synodaler. Irgendwann wird auch der grüne Zeitgeist wieder verschwunden sein. Was sind schon ein paar Jährchen im Vergleich zu einer zweitausend Jahre alten Kirche.“ Nicht schlecht. Aber der Herr Synodale, ein fleißiger Welt-Kommentator, wäre noch überzeugender, wenn er sich nicht hinter seinem Pseudonym – Klarspüler – verstecken würde.

Allzu hoffnungsvoll sieht es an diesem Buß- und Bettag 2023 mit der evangelischen Kirche in Deutschland nicht aus (mit der katholischen auch nicht, aber da die heute keinen Feiertag hat, war sie hier nicht Thema). Frau Kurschus, nicht mehr so schwer amtstragend (neben dem Ratsvorsitz hat sie auch ihre Aufgaben als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen niedergelegt), hat heute zumindest sicher nicht ganz so viele Verpflichtungen. Vielleicht ist ja Gelegenheit zu einem Treff mit Margot Käßmann (mit dem Punkt „Ratsvorsitz“ und „man dachte, es geht nicht mehr schlimmer“ wollen wir aber nicht noch einmal anfangen). Eine gemeinsame Publikation wäre möglich, der Titel „Gefallene Bischöfinnen“ drängt sich geradezu auf. Im Textezwischenbuchdeckelpressen hat Käßmann langjährige Erfahrung. Details kann man bei einem Glas Rotwein besprechen.

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Robert Bauer / 22.11.2023

Daß sich ein evangelischer Pfaffe als Schmittianer outet, ist fürwahr erstaunlich. Jedoch scheint sich dieser ZEITgenosse der Folgen seiner Denke nicht bewußt zu sein - ist doch die physische Vernichtung des zum Feind Erklärten unabdingbar, will man es nicht bei salbungsvollem Wortgeklingel belassen.

Hans Bendix / 22.11.2023

Nun, Protestantismus als solcher ist eine geschmackliche Verirrung. Aber - bei aller Kritik - ist mir in der “Öffentlichkeitsfrage” Karl Rahner viel näher: “Die Christen müssten erlöster aussehen!” - Das pseudotheologische Klima- und Gender- und Gegenrechts- und Sozialismusgeschwafel hat in einer christlichen Kirche nichts zu suchen: 1) Wenn die Welt erlöst ist, ist es auch das Klima. - 2) Mehr als zwei biologische Geschlechter gibt es nicht und Ehe ist nur die auf Dauer angelegte, ausschließliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, die prinzipiell offen ist für die Zeugung, Versorgung und Erziehung von Nachkommen. - 3) Die Botschaft des Evangeliums ergeht an alle Menschen in ihrer geschöpflichen Freiheit. Sie alleine entscheiden kraft ihres Gewissens, welche legitime politische Position sie in ihrem Land unterstützen. - 4) Dem Evangelium wohnt ein eminent sozialer Grundgedanke inne; dieser entspricht aber nicht dem politischen Vulgärsozialismus von Roten, Grünen, Gelben oder Schwarzen.

Werner Arning / 22.11.2023

„Der Feind“ des Glaubens ist wohl eher der Wille zum (Be-)Urteilen . Der gläubige Mensch sollte dieses tunlichst unterlassen. Denn die Schlange versprach zwar, dass er (der Mensch) nach dem Biss in den Apfel in die Lage versetzt sein werde, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, doch das wahre Wesen der Schlange ist ihre Verlogenheit. Deshalb sollte der Mensch nicht richten.

Sam Lowry / 22.11.2023

Ich habe auch noch eine trübe Nachricht: (M)Eine beste Freundin ist “Corona-positiv” und wäre damit nicht versichert, wenn wir Freitag trotzdem auf das Konzert von “Interstellar Overdrive” nach Idstein fahren würden. Zudem droht Kündigung, wenn Bilder des Konzertes im Net veröffentlicht werden. Theorie? Nein, ist mir bereits selbst passiert. “Und das während der Krankschreibung!” Bild von der Rhein-Zeitung und Kündigung als Anlage. Alles ist zu fu@ing transparent heute. Und ich ahne nichts Besseres mehr für die Zukunft…

Udo Bueltmann / 22.11.2023

Was ich mich immer frage: Wurden die Waffen für die Ukraine von der Evangelischen Kirche eigentlich gesegnet ?

Klaus Müller / 22.11.2023

Ich bin christlich erzogen worden, aber habe nach mich meiner Konfirmation nicht mehr kirchlich betätigt. Ausgetreten bin ich erst 1991 aus der Befürchtung heraus, dass im Westen 30 Jahre Kirchensteuer nachzahlen muss. Die protestantische Kirche nimmt für sich in Anspruch, das neue Testament zu leben, also den Charakter und die Lehren von Jesus Christus. Deshalb wurde dieser Verein zu irgendeiner Sekte, als seine “Berufslügner” in der Corona-Zeit gegen ihre eigene Lehre verstießen. Die Kirchen gehörten zu den Ersten, die ihre Häuser schlossen und jeden, der nicht geimpft war, von der Türschwelle stießen. Und dabei war es doch Jesus Christus, der zu dem Aussätzigen ging und ihm die Hand reichte. Falls jemand nichts damit anfangen kann, Aussatz nennt man heute Lebra und falls jemand nachlesen möchte: Markus, Vers 40-45. Für mich jedenfalls haben diese Berufsheuchler verspielt.

armin wacker / 22.11.2023

@Eberhardt Feldhahn Wo man nicht ist, kann man auch nicht pfeifen. Wenn ein Station voller Türken ist wo sind da die Regenbogen Fahnen? Merken sie etwas? Einfach zu den Sportarten wechseln, die den Adler noch auf der Brust tragen.

A. Nölle / 22.11.2023

Die Argumentation der Missionare der Klimatransformationskirche erinnert mich zur Zeit an schlimmste Zeitalter kirchlicher Verirrung, die unter der Maxime “extra ecclesiam nulla salus” firmierten. Schließlich müssten doch alle einsehen, man dürfe der Transformation der deutschen Wirtschaft, die durch dieses Karlsruher Urteil und vor allem das staatspolitisch verantwortungslose hinterlistige Verhalten einer wegelagernden Opposition, die nur darauf warte, zum unpassendsten Moment hinter dem Busch hervorzuhüpfen und mit ihren Keulen zu schwingen, gefährdet sei - ja, und genau an dieser Stelle kommt immer der logische Aussetzer: Ampelpolitiker setzen die Realität des Landes mit ihrer Transformationsideologie gleich! und stellen nun ihrerseits diejenigen, die nicht Teil ihrer Ideologie sein wollen, als “realitätsblind” dar. Mir kommt das so vor, als versuche die Ampel dem gesamten Land ihre Cyberbrille überzustreifen und es damit zu korrumpieren. Und das nehme ich ihr verdammt übel!

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