Rainer Bonhorst / 25.04.2024 / 14:00 / Foto: Number 10 / 6 / Seite ausdrucken

Scholz und Sunak – ein spätes Traumpaar

Sie passen gerade gut zueinander: Ihre Länder stecken im Krisen-Modus und sie sind letztlich nur noch Regierungschefs auf Abruf.

Er kam spät nach Berlin, aber gerade noch rechtzeitig. Rishi Sunak wartete eineinhalb Jahre, ehe er sich als Premierminister zum Flug über den Kanal aufraffte. Viel länger hätte er nicht warten dürfen. Denn im Herbst muss er womöglich Nummer zehn Downing Street verlassen. Der Termin seines Auszugs steht noch nicht fest, sein Nachfolger, der Labourchef Keir Starmer hingegen schon. Olaf Scholz hat noch ein Jährchen mehr Zeit, um sich auf seinen wohl ebenso sicheren Abschied vom Kanzleramt vorzubereiten.

Der konservative Tory Sunak und der Sozialdemokrat Scholz sind ein spätes, wenn auch kein natürliches Traumpaar. Nicht nur ihre kaum aufzuhaltende Götterdämmerung verbindet sie, sondern vor allem der Krieg in und um die Ukraine. So unterschiedlich beider Stil, so vergleichbar ist doch die Praxis ihrer Ukraine-Politik. Rishi Sunak tritt, wie sein Vorvorgänger Boris Johnson, kräftig als Matador in der Gemeinschaft der Ukraine-Unterstützer auf. Olaf Scholz zeigt sich immer wieder als Mann der Vorsicht und des Zauderns. Unterm Strich aber leisten beide, das Königreich und die Bundesrepublik, Europas größten finanziellen und militärpolitischen Einsatz für die Ukraine.

Das liegt eigentlich auch nahe, da beide Länder die wirtschaftlich stärksten in Europa sind. Immer noch. Das vom Brexit beschädigte Königreich ebenso wie das stagnierende Deutschland. Der Krieg hat beide Länder nach dem Scheidungsprozess wieder näher zueinander gebracht. Beide wollen demonstrieren, dass die sicherheitspolitische Zusammenarbeit den Brexit überdauert und im aktuellen Krisenfall so stark ist wie schon lange nicht mehr. 

Damit ist die Sorge spürbar reduziert, Europa sei durch den Brexit auch sicherheitspolitisch dauerhaft geschwächt worden. Die Europäische Union hat schließlich mit England seine zweite Atommacht und einen im Kern stets verteidigungsbereiten Partner verloren. Die EU, aber nicht Europa. Die Briten, die, zum Ärger vor allem Frankreichs, den Blick nach Amerika zur Staatsraison zählen, sind von der Ukraine zum vorrangigen Blick auf Europa gezwungen worden. Und die Deutschen sind zur Freude der Briten aus ihren pazifistischen Träumen gerissen worden und wieder dabei, ernsthafte Partner in der Verteidigungsbereitschaft zu werden.

Im Abseits

Doch es ist nicht der Krieg allein. Rishi Sunak, eigentlich ein überzeugter Brexit-Anhänger, versucht seit einiger Zeit, das zeitweilig vergiftete Verhältnis zur EU ein wenig zu entspannen. Er stößt damit bei Ursula von der Leyen auf offene Ohren. Aber nicht daheim in seiner eigenen Partei. Die harten Brexeteers um seine Amtsvorgänger Boris Johnson und Liz Truss belauern seine Annäherungsversuche über den Kanal mit Argusaugen. Wäre es nicht der absurde Gipfel einer rasanten Abfolge geschasster Premierminister, so müsste Sunak noch kurz vor Tores Schluss um sein Amt bangen.

Mit seinem Europa-Flirt versucht er nicht nur die wirtschaftlichen Probleme, die sich die Briten mit dem Brexit eingehandelt haben, ein wenig zu mildern. Vor allem bei den jungen Briten, die sich um ihren freien Zugang nach Europa gebracht fühlen, haben sich die Tories ins Abseits manövriert. Der Premier sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, dass der harte Brexit, den Boris Johnson durchgeboxt hat, mehr geschadet als genutzt hat. Dessen Vorgängerin Theresa May, die einen sanfteren und gutnachbarschaftlichen Abschied von der EU versucht hat und damit gescheitert ist, sitzt nachträglich als Hinterbänklerin im Unterhaus, die Recht gehabt hat.

Die Briten haben ihre Brexit-Freiheit teuer bezahlt. Die neuen weltweiten Handelsverträge sind nicht besser, ja zum Teil schlechter als die, die sie innerhalb der EU hatten. Die Freiheit in der Corona-Krise, unabhängig von der EU-Bürokratie Impfstoffe zu beschaffen, ist mehr oder weniger vergessen. Die Freiheit, nach eigenen Vorstellungen und ohne EU-Hindernisse die vielen Zuwanderer abzuwehren, ist gescheitert. Statt der Osteuropäer kommen nun Asiaten ins Land. Der verzweifelte Versuch, Illegale nach Ruanda zu verfrachten, zieht sich endlos hin und wird nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Wirtschaftlich tut sich das Brexit-Land noch schwerer als die Bundesrepublik mit ihrer unglücklichen Politik der Wirtschaftsbehinderung. Selbst Londons City, das europäische Finanzzentrum, leidet. Was bleibt, ist das emotional wichtige, aber schwer zu fassende Prinzip Souveränität.

Sunaks behutsame Annäherungsversuche an Europa im Sinne von Theresa May dürften jedoch seine Wahlchancen nur marginal verbessern. Und Keir Starmer? Er wird energischer auf Brüssel und Berlin zugehen. Einen Rücktritt vom Brexit aber hat er nicht im Program. Zu viele seiner Labour-Wähler hatten vor inzwischen fast acht Jahren für den Brexit gestimmt. Und Starmer ist ein vorsichtiger Mann. Eine Art Olaf Scholz auf englisch. 

Die Hoffnung auf deutsche Frauen

Ursula von der Leyen ist jedenfalls gesprächsbereit. Allerdings ist sie gerade damit beschäftigt, um ihr Amt als Kommissionspräsidentin zu kämpfen. Im Übrigen ist sie nicht die erste Deutsche, auf die britische Politiker ihre Hoffnungen setzen. Der Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson baute seinerzeit auf Angela Merkel. Er glaubte, die damalige Kanzlerin werde den scheidenden Briten Sonderrechte verschaffen, um der deutschen Autoindustrie den Zugang nach England zu erhalten. Daraus wurde nichts. Aus dem harten Brexit wurde ein konfrontativer Brexit.

Zum Glück, wenn dieses Wort in diesem Zusammenhang erlaubt ist, ignoriert die Sicherheitspolitik und das gemeinsame Interesse, die Ukraine zu unterstützen, diesen Graben. So konnten Rishi Sunak und Olaf Scholz einigermaßen überzeugend gemeinsam in die Kameras lächeln. Noch eine Spur herzlicher waren sicherlich der Händedruck und das Lächeln in Warschau, wo Sunak seinen polnischen Amtskollegen Donald Tusk besuchte. Die Herzlichkeit hat historische Wurzeln, lebt aber auch von der Tatsache, dass die Polen sich keine Sekunde Illusionen über Wladimir Putin gemacht und ohne Zögern die Ukraine unterstützt haben. Den deutschen Politikern ist es bekanntlich beschämend schwer gefallen, ihre Putin-Illusionen aufzugeben.

Aber das war gestern. Das Treffen von Rishi Sunak und Olaf Scholz soll der Beginn einer späten, wenn auch wohl kurzen Freundschaft sein. Fortsetzung folgt in neuer Besetzung: Keir Starmer mit Friedrich Merz, sofern Söder, der Bayer, es genehmigt. 

 

Rainer Bonhorstgeboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung.

Foto: Number 10, CC BY 2.0, Link

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Leserpost

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Gerhard Schmidt / 25.04.2024

Söder ist Franke, kein Bayer.

Rolf Mainz / 25.04.2024

Ein Deutscher erklärt den Briten die Welt. Das hat noch nie funktioniert. Sicher einer der jemals schwächsten Beiträge auf dieser Seite.

Silas Loy / 25.04.2024

Sie knabbern sich mal wieder am Brexit ab, sehr geehrter Herr Bonhorst, guten Appetit! Souveränität ist ein emotionales, aber schwer zu fassendes Prinzip? Ob das die Iren und Inder auch so sehen? Jedenfalls haben die Briten sich schon mal die jährlichen millardenschweren Nettotransfers nach Brüssel gespart, die eine EU verschleudet, die überall immer unbeliebter wird. Und im Hinblick auf die Ukraine: Nicht die Deutschen haben sich Illusionen über die Russen gemacht, sondern umgekehrt. Damit ist Schluss und Russland für Europa verloren, es wendet sich jetzt nach Fernost, die wollen da auch sein Gas -eine Leitung nach China ist schon im Bau- und sind auch keine “US-Vasallen” (Brzezinki). Eine Zeitenwende, eine Geowende. Und der Verlierer ist: Europa.

Rainer Niersberger / 25.04.2024

Vielleicht sollte sich der Autor mal mit Frau Binnig ueber die von ihm offenbar sehr geschätzte EU unterhalten.

Wilfried Cremer / 25.04.2024

Hi! Wo gibt es heute denn noch Wähler? Man sieht doch (wo das geht) nur Abwähler.

L. Luhmann / 25.04.2024

Scholz, Sunak, Johnson et al. und weite Teile der westlichen maßgeblichen Politiker sind WEF-Mitglieder. Anders ausgedrückt: Diese Leute vertreten ihre Stakeholder und nicht die Interessen ihres jeweiligen Volkes.

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