Alttestamentarische Figuren am Berliner Stadtschloss sorgen für Skandale, das Computerspiel „The Great Rebellion“ wird von Steam verbannt, und die Zahl 4 wird vom DFB zum „Doppelblitz“ der SS stilisiert.
Das Berliner Stadtschloss bleibt auch mit fortschreitender Vollendung eine Projektionsfläche für so manche Vorstellungen. Vorletzten Herbst hatten wir uns mit einer Umschrift auf der Schlosskuppel beschäftigt, die Jesus huldigt. Jetzt geht es nicht ums Neue Testament, sondern um alttestamentarische Propheten. Acht an der Zahl sind dort als Sandsteinfiguren wieder an der Kuppel-Balustrade angebracht worden. Daniel, Hesekiel, Hosea, Jeremias, Jesaja, Jonas, Zacharias und Zephania erfreuen sich in der ‚gottlosen‘ Hauptstadt keiner sonderlichen Bekanntheit, erregen aber dennoch Anstoß. „Acht Juden am Berliner Stadtschloss, die Deutschlands Linke gerade in den Wahnsinn treiben“, titelt die Welt.
So werde „die [sic!] das Berliner Schloss weiter zum neu-rechten Symbol für das ‚christliche Abendland‘ ausgebaut“, kritisieren der woke Hamburger Geschichtsprofessor Jürgen Zimmerer und der Kasseler Architekturprofessor Philipp Oswalt. Sie sprechen „von einer bewussten fundamental-christlichen Unterwanderung des Stadtschlosses […], die sich bestens in die islamophoben Tendenzen der Zeit einfügt.“ Oswalt, ein harter Gegner der Stadtschloss-Wiedererstehung und einst Grünen-Funktionär, wendet sich auch gegen die seines Erachtens „nationalprotestantische Aussage“ der Kuppel-Balustrade. Die biblischen Propheten stünden im Widerspruch „zur weltverbindenden Botschaft des Humboldt-Forums“, das in dem Gebäude untergebracht ist, heißt es bei der Neuen Osnabrücker Zeitung. Dabei verbinden die Propheten nicht nur Juden- und Christentum, Daniel spielt auch im Islam eine Rolle.
Oswalt und Zimmerer fahren allerdings noch anderes Geschütz auf: Die Figuren seien „mit Spendengeldern von Rechtsradikalen“ finanziert. Oswalt hatte in der Vergangenheit bereits auf Spenden der Jungen Freiheit und ihres Chefredakteurs Dieter Stein – die er so einordnet – hingewiesen, und auf den 2016 verstorbenen Bankier Ehrhardt Bödecker, dem in einer Studie „partiell antisemitisch aufgeladenes“ Denken vorgeworfen wird.
„Eine der Figuren, der Prophet Daniel“, so die Professoren, „wurde […] von der von vielen als rechtsradikal eingeschätzten Politikerin und Publizistin Vera Lengsfeld [teilweise] finanziert.“ Dazu erspare ich mir jeden Kommentar und überlasse der Achgut-Autorin Lengsfeld, die den Casus "Anatomie einer Denunziation" auf ihrem Blog ausführlich beschreibt, selbst das Wort: „Eine deutsche Denunziation ist leicht ausgesprochen, wird dann vielfach medial repliziert und ist extrem mühsam wieder aus dem Weg zu räumen.“ Kollegin Lengsfeld hat in der Tat Spenden entrichtet, die in Teilen der genannten Prophetenfigur zugeordnet wurden (mehr über Daniel im gleichnamigen Buch und bei Johnny Cash). Die Höhe der Spenden, so ihre Einschätzung, „reicht gerade für Daniels Mittelfinger“. Allemal besser als der Zeigefinger.
Marschieren und unterwandern
Über das verlängerte letzte Wochenende fanden wieder zahlreiche Ostermärsche statt. Innerhalb der sogenannten Friedensbewegung herrscht aber nicht immer große Eintracht. So wurde das Düsseldorfer Friedensforum vom Ostermarsch Rhein-Ruhr ausgeschlossen. Begründung: Angehörige des Friedensforums würden „Verschwörungstheorien“ verbreiten und „hätten […] sich in der Corona-Pandemie als Impfgegner hervorgetan“, zitiert der WDR den Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) NRW, Joachim Schramm, der zudem „Angst vor einer Unterwanderung von rechts“ zum Ausdruck bringt.
„Von rechts unterwandert? Ostermärsche wieder in der Kritik“, titelt entsprechend der BR. Das erinnert an Überschriften wie „Rechtsextreme unterwandern Corona-Demos“ oder „Wie Rechte die Bauernproteste unterwandern“ bei anderen Mainstream-Medien. Apollo News sieht „die Ostermärsche klar von Linken bis Linksextremen dominiert“ – inklusive friedenspolitischer Forderungen nach „Klimaschutz“ und „Veggie Day“. Beim oben genannten Ostermarsch Rhein-Ruhr riefen in Duisburg übrigens Demonstranten nach der Auslöschung Israels, in Dortmund sprach Hisham Hammad von der örtlichen Palästinensischen Gemeinde, der Israel schon des Völkermords beschuldigt hatte. (Hammad musste in den 1990er sein Landtagsmandat für die Grünen niederlegen – wegen Bigamie.) In Duisburg wurde nach Darstellung des israelsolidarischen Magazins Ruhrbarone deren Reporter von Versammlungsteilnehmerinnen angegriffen.
Rebellion auf dem Index
Das neue Computerspiel The Great Rebellion ist in Deutschland nicht mehr über die führende Vertriebsplattform Steam erhältlich. Steam nimmt ohne nähere Konkretisierung an, das Spiel könnte in Deutschland nicht erlaubt sein. An anderer Stelle kann es weiterhin bezogen werden. In The Great Rebellion, einem sogenannten Roguelite-Spiel, kämpft man „gegen eine technokratische globalistische, politisch-korrekte Diktatur-Dystopie […], die Bürger über Hirnimplantate und ein Sozialkreditsystem kontrolliert“. Die österreichische Herstellerfirma Kvltgames bezeichnet sich als „nach Maßstäben der Mainstreammedien selbstverständlich […] rechtsradikale Spieleschmiede, welche sich auf die Erstellung und den Vertrieb von Computerspielen mit politisch inkorrektem Inhalt spezialisiert hat.“
In ihrem früheren Werk Heimat Defender: Rebellion von 2020 agierte Identitären-Kopf Martin Sellner als einer der virtuellen Protagonisten. Das Spiel wurde damals in Deutschland als jugendgefährdend indiziert. Begründet wurde dies u.a. damit, dass „Regenbogensymbole […] in einem degradierenden Kontext“ vorkommen und als zu bekämpfende Antagonisten u.a. Figuren mit optischen Ähnlichkeiten zu „Heiko Maas und Angela Merkel – als Repräsentanten für eine freiheitlich-demokratische Wertegemeinschaft in Deutschland“. Kein Witz. Im neuen Spiel taucht unter anderem ein Gegner auf, der an den ehemaligen US-Chef-Virologen Anthony Fauci erinnert. The Great Rebellion soll für eine unabhängige Produktion durchaus erfolgreich angelaufen sein. Bei den großen Spielekonzernen schleichen sich hingegen immer mehr woke Narrative in die Produkte.
Hass und Heße
Das römisch-katholische Erzbistum Hamburg will keine AfD-Politiker mehr zu seinen Veranstaltungen einladen. Mit solchen Personen „werden wir keine persönlichen Kontakte pflegen“, erklärt Erzbischof Stefan Heße. Wenn jemand, dessen AfD-Mitgliedschaft bekannt sei, sich in einer Kirchengemeinde engagiere wolle, „soll die Person mit ihrem politischen Engagement konfrontiert […] werden“. Die meisten Deutschen, meint der Oberhirte, möchten „keinen Rassismus, keinen Rechtspopulismus, keine Hetze“. Heße hatte während seiner damaligen Tätigkeit in der Kölner Erzdiözese zahlreiche Pflichtverletzungen im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs begangen.
Huch, überall Nazis!
„444“ wurde vereinzelt mal als Code für „Deutschland den Deutschen“ verwendet (4. Buchstabe des Alphabets). Aber auch die „44“ kann zum Problem werden, wenn sie nämlich aussieht wie der „Doppelblitz“ der SS. Das ist den Machern des neuen Trikots der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gelungen. Bis zum Osterwochenende konnte man bei Adidas und beim Deutschen Fußballbund (DFB) mit dieser Rückennummer beflockte Trikots bestellen. Selbstverständlich mit eigenem Namen versehen, z.B. „Führer“ oder „Waffen“. Diese Praxis beendeten der Sportartikelhersteller wie auch der DFB, nachdem sie Tobias Huch auf Twitter empört darauf hingewiesen hatte. Huch stammt übrigens nicht aus der Antifa-Ecke, sondern gehört der FDP an, engagiert sich für Kurden sowie Jesiden und hat sich kürzlich mit dem Hinweis, dass die Bevölkerung des Gaza-Streifens „kollektive Verantwortung für Verbrechen“ trägt, bei einigen unbeliebt gemacht. Adidas bestreitet im Hinblick auf die runenartig gelesene Optik, „dass dies unsere Absicht war“. Der DFB will sich um typographische Veränderungen bei der „4“ bemühen.
Keine sichere Bank
Erneut ist ein Fall von Debanking zu verzeichnen. Das Magazin Manova (ehemals Rubikon) verlor nun sein Konto bei der GLS Bank. Das laut Wikipedia „verschwörungsideologisch geprägte“ Alternativmedium – als „rechts“ lässt es sich nämlich schlecht framen, da es eher manchen alt- und neulinken Strömungen nahesteht – geht davon aus, „dass es sich hier um eine politische Säuberungsaktion handelt“. Laut Manova, das durch seine sehr kritische Begleitung der Corona-Transformation an Bedeutung gewann, erfolgte die Kontokündigung ohne Begründung. Die Genossenschaftsbank GLS wurde vor 50 Jahren von Anthroposophen gegründet. Das Magazin wickelt seine Bankgeschäfte jetzt über ein ebenfalls genossenschaftliches Kreditinstitut ab, nämlich die Volksbank im sächsischen Pirna.
Dem israelfeindlichen Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ (Henryk Broder hatte 2010 eine damals führende Aktivistin als Nicht-Jüdin entlarvt) hat die Berliner Sparkasse sein Konto zwar bisher nicht gekündigt, aber gesperrt. Sie verlange verschiedene Unterlagen, so der Verein, bevor es wieder freigeschaltet werden könne, darunter eine vollständige Mitgliederliste. Derlei geht eine Bank nun wirklich nichts an. Die Organisation verlor in der Vergangenheit bereits ihr Konto bei der Bank für Sozialwirtschaft, und zwar wegen ihrer Unterstützung der antisemitischen BDS-Kampagne.
Zwerge auf Schultern von Riesen
Dass Mozarts Zauberflöte von einer woken Gruppe umgeschrieben wurde, hatte ich Ihnen vorletzten Monat berichtet. Jetzt hat sich zudem der künstlerische Leiter des Festspielhauses Neuschwanstein, Benjamin Sahler, an dem Stoff versucht. In seiner Neufassung, so der BR, „hinterfragt er auch Teile des Originals, wie die Rolle des schwarzen Sklaven Monostatos zum Beispiel oder die patriarchalisch dargestellte Welt Sarastros.“ Außerdem steuert Frank Nimsgern eigene Kompositionen bei – nach seiner Aussage „komplett neue Musik mit Zitaten von Mozart“. Anfang Mai feiert das Musical Premiere in der Füssener Spielstätte. „Da frage ich mich schon warum", kommentiert das Simon Pickel, künstlerischer Leiter des Deutschen Mozartfests Augsburg. Er zweifelt gegenüber dem BR am Nutzen der Neufassung, und empfiehlt den Verantwortlichen, doch lieber ganz eigene Werke zu kreieren.
Hochgejazzt
Bleiben wir bei der Musik. Der Jazzsaxophonist Martin Speake steht als Dozent des Trinity-Laban-Konservatoriums in London unter Beschuss. In einer internen E-Mail hatte er die Auffassung vertreten, dass schwarze Jazz-Musiker in Großbritannien keineswegs unterrepräsentiert seien oder institutionell diskriminiert würden, im Gegenteil. In dem Schreiben äußerte Speake Bedenken über die Black-Lives-Matter-Bewegung und die sogenannte Kritische Rassentheorie. Er schloss mit einer Bemerkung Martin Luther Kings, demzufolge man Menschen nach ihrem Charakter und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilen soll. Nach Bekanntwerden wurde eine Online-Petition zwecks Speakes sofortiger Entlassung gestartet. Ein Student am Konservatorium beklagt dort in woken Worten Speakes „Mangel an Sensibilität“ und einen negativen Einfluss auf die „mentale Gesundheit“ des Petenten. Wie es um diese vorher bereits bestellt war, steht auf einem anderen Blatt. Die Bildungseinrichtung distanzierte sich, Studenten begannen, Speakes Lehrveranstaltungen zu boykottieren, dieser meldete sich krank. Eine Gegenpetition zu seiner Unterstützung hat bisher weniger Unterschriften als die andere.
Kopftuchstreit
Zurück aufs Festland: Ein Schulleiter in Paris gab jetzt seine Funktion vorzeitig auf. Er hatte mehrere Schülerinnen aufgefordert, ihre islamischen Kopftücher abzulegen, denn in Frankreich haben solche Kleidungsstücke nichts auf dem Schulgelände zu suchen. Eine weigerte sich, es gab Streit, sie stellte eine Anzeige. Kurz danach haben Schüler vor der Maurice-Ravel-Schule für den Rücktritt des Schulleiters demonstriert, er erhielt mehrere Morddrohungen. Nach der Ermordung der Lehrer Samuel Paty und Dominique Bernard durch Islamisten in den Jahren 2020 bzw. 2023 wollte der Direktor kurz vor seinem Ruhestand wohl kein großes Risiko mehr eingehen. Der französische Regierungschef Gabriel Attal stellte sich hinter ihn: „Er hat einfach nur seine Arbeit gemacht“.
Howgh, die Befragten haben gesprochen
Nicht gecancelt wurde Winnetou. Das ZDF strahlte den Film am Karfreitag aus. Weil aber vorletztes Jahr der Ravensburger Verlag zwei Kinderbücher, die sich mit dem Indianer befassen – kein originales Karl-May-Material – aus dem Programm genommen hatte, meinte t-online, daraus eine Story machen zu müssen. Das Medium scheute keine Kosten und Mühen, es ließ eine Umfrage durchführen. Trotz der suggestiver kaum formulierbaren Frage „Wie bewerten Sie, dass das ZDF trotz Kritik an der klischeehaften Darstellung amerikanischer Ureinwohner an den Ausstrahlungen der ‚Winnetou‘-Filme festhält?“ antworteten drei Viertel mit „eindeutig richtig“. Die Antworten „eher falsch“ und „eindeutig falsch“ scheiterten jeweils an der Fünfprozenthürde.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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