Alain Pichard, Gastautor / 09.05.2023 / 16:00 / Foto: Bundesarchiv / 17 / Seite ausdrucken

Vegetarische Schulspeisung in der Praxis

Politiker beschließen, dass das Essen biologisch, nachhaltig und gesund sein müsse, aber es trifft dann beispielsweise nicht den Geschmack von ganz normalen Schülern.

Vor einigen Jahren verlangte das Bieler Stadtparlament, dass die Ernährung an den Mittagstischen biologisch, nachhaltig und gesund sein müsse. Dagegen ist wirklich nichts einzuwenden und die Motion (parlamentarischer Beschluss der Schweiz, Anm. d. Red.) wurde mit großem Mehr überwiesen. Nun gibt es auch in der Verwaltung von Biel diese Bettelmönche der Dystopie, die die Welt und die Kinder vor sich selber schützen wollen. Ernährung, so die Idee, sei viel zu wichtig, als dass man dies den Köchen überlassen dürfe. Für die Ernährung der Kinder ist neuerdings ein Ernährungsberater zuständig.

Dieser Ernährungsexperte berechnet die Menüs nach neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft, gibt minutiös den Kalorien-, Zucker-, Eiweiß- und Mineralienanteil-Tagesbefehl raus und entwirft daraufhin die Pläne für die Speisen, welche zentral in der Großküche eines Altersheims zubereitet und dann in der ganzen Stadt – in Schulen und Pflegeheimen – verteilt werden. Natürlich wird auch dem Kampf gegen die Klimaerwärmung Rechnung getragen: ein Tag Fleisch, ein Tag Fisch und drei Tage vegetarisch.

Nun weiß ich aus eigener Erfahrung zahlreicher Skilager, dass man wirklich feine vegetarische Gerichte kochen kann. Der Bieler Beglückungsspeiseplan mit Bulgur, Quinoa-Porridge, Vollkorn-Spaghetti, Buddha-Bowl mit Granatapfelkernen oder Vollkornpfannkuchen hat allerdings zwei Probleme: Er kostet viel und schmeckt den Kids nicht. Die Ernährungsgewohnheiten unserer unterprivilegierten Kinder – und von denen gibt es in der Uhrenstadt eine ganze Menge – sind etwas anders als die der lastenradfahrenden Upper-Middle-Class.

Es ist die Sehnsucht einer bequemen, da ökonomisch bestens abgesicherten Mittelschicht, Menschen zu erziehen, von deren Lebensweise sie keine Ahnung hat. Die Selbstverkennung dieses Milieus zementiert den Klassenstandpunkt. Die Folge dieses Minimums an Komplexität sind ein atemberaubender Foodwaste, hungrige Kinder und wieder einmal überzogene Budgetvorgaben, denn biologische Lebensmittel gehören nicht zu den billigsten. Eine Mittagsbetreuerin kaufte auf eigene Rechnung schnell in der Stadt noch „Schokoriegel“, um den Kids wenigstens noch einen Zuckerschuss für den Nachmittag zu liefern. Die wenigen älteren Schüler, die meistens auch etwas Geld in der Tasche haben, kürzen den Mittagstisch ab, lassen sich eine Pizza ins Schulhaus liefern und verzehren diese genussvoll in meinem Klassenzimmer.

Man darf aber der Verwaltung nicht vorwerfen, dass sie nicht kreativ oder lernfähig wäre. So wurden die zahlreichen Reklamationen aufgenommen und eine Arbeitsgruppe gebildet. Gewisse Pläne sind bereits durchgesickert. Die Unmengen an Essensresten sollen in den Lehrerzimmern verteilt werden, die Lehrpersonen werden diese bezahlen, und mit dem Geld kann man dann die Schoggistengeli finanzieren. Und es gibt für Mohammad und Co. noch eine andere Hoffnung. Das notorisch klamme Biel wird diese Umerziehung schon allein finanziell nicht mehr lange durchhalten können. Eine weitere Erkenntnis, die aus der Arbeitsgruppe durchsickerte: „Wir wollten mal etwas ausprobieren.“ Letzte Woche gab es wieder normale, sprich weiße Spaghetti. Und siehe da: Im Lehrerzimmer gab es nichts zu essen.

Wie formulierte es Karl Kraus einst? Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.

 

Alain Pichard ist Grünliberaler Großrat im Kanton Bern und Mitbegründer des Bildungsblogs condorcet.ch. Trotz seiner Pensionierung ist er immer noch Lehrer an einer Brennpunktschule in Biel.

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Leserpost

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finn waidjuk / 09.05.2023

Mit der “gesunden” Ernährung verhält es sich wie mit der richtigen Atmung in chinesischen Kampfkünsten ohne deren Kenntnis man angeblich nicht siegen kann. Als ich meinen alten Sifu nach diesem Geheimnis fragte, sagte er, dass man nicht vergessen sollte ab und zu auch mal zu atmen, da man ansonsten ersticke. Genau so sieht es mit dem Essen aus; wenn man zu wenig isst, ist das ungesund, da man verhungern könnte und wenn man zu viel isst wird man dick. Es geht einfach nur um den Energiegehalt der Lebensmittel. Die Einteilung in “gesunde” oder “ungesunde” Lebensmittel entbehrt jeder Evidenz. Es gibt keine einzige Studie, die einen lebensverlängernden Effekt einer vegetarischen oder gar einer veganen (Mangel)Ernährung nachweist. Wirklich ungesund sind nur verdorbene Lebensmittel, die können zu einer ernsthaften Erkrankung oder sogar dem Tod führen.

Rolf Mainz / 09.05.2023

Biel ist rot dominiert und ethnisch unterwandert. Und die “vegetarische Speisung” hat noch den Nebeneffekt, dass die peinliche Schweinefleischfrage nicht gestellt werden muss. Nicht, dass sich einer der vielen “Neu-Bieler” in seinem Glauben verletzt fühlt, nicht wahr?

Karsten Dörre / 09.05.2023

Man muss nur alles vegan oder vegetarisch machen, dann würde der Preis sinken. Revolutionen sind sooo einfach, wenn alle mitmachen würden. Das ist wie mit dem Klimawandel, der einige tausend Jahre andauern wird, egal ob wenige oder alle mitmachen.

Andreas Giovanni Brunner / 09.05.2023

Vollkornspaghetti, was soll das sein? Ist das genauso ein deutschoesterreichischer Mist wie Latte Machiato? Geht gar nicht.

Thomas Szabó / 09.05.2023

@ Fred Burig: Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Ricarda meinen Enten & Hasen ihr Gras weg frisst. Aber Danke für die Warnung, ich kann ja eine falsche Fährte mit Hamburgern & Cheeseburgern streuen, um sie abzulenken.

Jürgen Fischer / 09.05.2023

Die Bälger sollen froh sein, dass sie nicht gezwungen werden, lebendfrische Grillen oder sowas zu verspeisen. Das wäre ein Spaß, wenn das Heimchen auf dem Teller plötzlich zu zirpen anfängt. Mist, jetzt krieg’ ich den Hallervorden-Sketch mit dem Zirpelschwein nicht mehr aus dem Kopf …

Fred Burig / 09.05.2023

@Thomas Szabó :”.... Ich speise heute nur Gräser & Blätter, die auf eine biologische Art in eine Entenkeule transformiert wurden, was den Geschmackserlebnis erheblich steigert. “.... Genau! Aber sie sollten aufpassen, dass die echten Dingsda nicht das Futter ihrer Lieblingsspeisetiere verknappen! Es geht nämlich schon das Gerücht um, das solche Typen u.a. in der Nähe von Hasenställen gesichtet wurden - und nein, die wollen keine eingesperrten Hoppelhasen und Meerschweinchen in die Freiheit entlassen - die wollen den armen Tieren ihr Futter wegfressen ! Das ergibt dann ein ganz neu geartetes Feindbild für mich, weil die meinem Essen quasi das Essen wegfressen!  MfG

R. Lichti / 09.05.2023

In Deutschland ist übrigens die Lebensmittelkennzeichnung eine gute Orientierung für die Geschmacksqualität eines Snacks: Je höher der Buchstabe (optimal: “F”), desto wohlschmeckender (Zucker, Fett usw). In der Regel auch nicht Bio, deshalb auch meist preiswert.

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