Oliver Zimski / 16.02.2024 / 12:00 / Foto: Pixabay / 79 / Seite ausdrucken

Der neue Deutschland-Refrain: „Wir sind alle gegen Nazis”

Die neue Massenbewegung gegen den vermeintlichen Faschismus ist Balsam für die von Bauernprotesten und Negativumfragen heimgesuchte Ampel-Regierung. An ihrem Versagen sind ab sofort andere schuld.

Einer der ersten Berichte über die Massendemonstrationen gegen Rechts listete als Reaktionen der etablierten Politik die üblichen Leerformeln auf: „breites Bündnis“, „Zivilcourage“, „ermutigendes Zeichen“, „Stimme erheben“, „unsere Werte schützen“, „Mitte der Gesellschaft jetzt aufgewacht“ und dergleichen mehr, konterkarierte dies jedoch mit einem wunderbar subversiven Foto: zwei selbstbemalten Pappschildern direkt nebeneinander; das erste mit der Aufschrift „Hass ist keine Meinung“, das zweite mit „Alle hassen Nazis“. Die wackeren Kämpfer gegen Rechts vermögen wahrscheinlich in diesen beiden Botschaften keinerlei Widerspruch zu entdecken, doch wer auch immer ausgerechnet dieses Foto als Illustration zum Text auswählte, hat im Kleinen echte Zivilcourage bewiesen.

Vielleicht war es eine versteckte Kritik an der Verlogenheit von Hunderttausenden, die auf die Straße rennen, weil sie aufgrund einer privaten Diskussionsveranstaltung im November letzten Jahres über die Abschiebung ausländischer Straftäter sofort ein neues „1933“ halluzinieren, aber zu Hause bleiben, wenn es um die Solidarität mit Juden geht, welche 2024 in Deutschland angegriffen werden – schlimmer noch: dieselben Demonstranten haben kein Problem damit, unter dem gekaperten Motto „Nie wieder ist jetzt!“ Schulter an Schulter mit den Antisemiten der Free-Palestine-Bewegung aufzulaufen. Vielleicht war es einfach auch nur ein Unbehagen am großen Marschmusikkonzert von Politik und Medien, das keine Zwischentöne dulden will. 

Momentan geht im Netz das Lied „Wir sind alle gegen Nazis“ des Duos Theodor Shitstorm viral. „Wir sind am Ende, die Liebe ist vorbei“, lautet die erste Strophe, und es lohnt sich, auch die Anfänge der anderen Strophen zu zitieren: „2. Unsere Band ist am Ende, uns fällt nichts mehr ein“, 3. „Unser Land ist am Ende, die Lichter gehen aus“, 4. „Unsere Welt ist am Ende, der Meeresspiegel steigt“. Der Refrain lautet: „Und dennoch und trotzdem, nach all der verlorenen Zeit, gibt’s doch eines, das uns bleibt: Wir sind alle gegen Nazis, alle gegen Nazis, alle gegen Nazis!“ Auch hier fällt es schwer, keine Ironie und Subversion zu erkennen, zumal sich als Sänger der Regisseur Dietrich Brüggemann betätigt, der 2021 aus Protest gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung die Aktion #allesdichtmachen initiierte.

„Wir sind alle gegen Nazis“ ist ein Schlüsselsatz zum Verständnis der gegenwärtigen, bisher nicht enden wollenden Massenhysterie. In einem Land, das gerade in allen erdenklichen Bereichen mit Volldampf gegen die Wand gefahren wird, das in unzählige Parallel- und Gegengesellschaften gespalten ist – und zwar durch die Politik genau derjenigen, die tagtäglich mit Krokodilstränen die „Spaltung der Gesellschaft“ und den fehlenden „Zusammenhalt“ beklagen –, gibt es kaum noch Verbindendes über die unterschiedlichen Milieus, die ethnischen, religiösen und sozialen Trennungslinien sowie die politischen Schützengräben hinweg. Das merkt mittlerweile jeder in seinem konkreten Alltag, sogar die notorischen Schönfärber oder die vorsätzlich Blinden und Tauben. Doch da die Ampel-Regierung und die sie tragenden politischen Kräfte zwar untereinander zerstritten, aber gleichzeitig unfähig zu Selbstreflexion oder gar Umkehr sind, brauchen sie dringend einen Schuldigen für die allgemeine Misere.

Ein moderner Teufel

Dafür dient ihnen die „Alternative für Deutschland“, die sich einst gründete, weil die Superdemokratin Angela Merkel, sekundiert von Politik und Medien, eine „Alternativlosigkeit“ ihrer Politik dekretierte. Die AfD ist schuld, dass es mit der Wirtschaft nicht aufwärts geht, dass keine Fachkräfte und keine ausländischen Touristen kommen, sie schadet dem Klimaschutz, und sie allein ist schuld an der Spaltung der Gesellschaft. Deshalb kann es zu dem von Merkel eingeschlagenen Weg in Migrations-, Sozial-, Energie-, Klima- und sonstiger Politik, der von der Ampel-Regierung nahtlos fortgeführt wird, keine Alternative geben, denn diese Politik ist richtig, weil sie gut ist, und sie ist gut, weil sie richtig ist. Basta!

„Richtig“ heißt fortschrittlich, progressiv, humanistisch, ökologisch, sozial, feministisch, queer, antirassistisch, antifaschistisch – und wer das immer noch nicht einsieht, ist ein Nazi und als solcher zu ächten. Dass diese Nazis selbst vorgeben, gar keine zu sein (sondern konservativ, bürgerlich, freiheitlich u.ä.), macht sie nur noch gefährlicher und verführerischer. Man darf kein Wasser auf ihre Mühlen leiten, ihnen keine Bühne bieten, muss sich die Ohren zuhalten oder sie niederschreien, wenn sie reden, darf nicht den Fehler begehen, ihren Werdegang oder ihre Argumente nachvollziehen zu wollen, denn sie haben niemals auch nur ein Fünkchen recht. Wenn „Nazis“ behaupten, die Erde sei eine Kugel, dann muss die Erde eine Scheibe sein! Sie sind das absolut Böse in einer ansonsten orientierungslosen Gesellschaft, die ihre christlichen und zunehmend auch aufklärerischen Wurzeln verachtet und verleugnet. Und so, wie sich Voldemort in jeder Harry-Potter-Folge einen konkreten Menschen als Wirt sucht, so materialisiert sich das heutige Böse in einer deutschen Partei: der AfD.

Im Rausch der Gemeinschaft

Nur im kollektiven „Gesichtzeigen“ gegen den modernen Teufel AfD entsteht für Momente wieder so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl: zwischen den „Omas gegen Rechts“ und den Palästinensern mit ihren „israelkritischen“ Transparenten, der grünen Beamtenfamilie aus dem Speckgürtel und den vermummten Antifa-Schlägern, der biederen Kirchenfrau und dem queeren LGBTQ-Aktivisten – was für ein berauschendes Gefühl, sich im hunderttausendfachen Sprechchor „Wir sind mehr!“ zu vereinen, zumal sich die einzelnen Bestandteile dieser „bunten“ Zivilgesellschaft doch sonst immer als verfolgte und diskriminierte Opfer gerieren! Anderntags werden die Medien darüber hofberichten, wie mutig es war, an den von der Regierung gehypten Großdemonstrationen teilzunehmen, und somit den Rausch noch ein wenig verlängern. Aber nur ein wenig, bevor der trübe Alltagskater zurückkommt im „besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“.

Die neue Massenbewegung ist Balsam für die von Bauernprotesten und Rekord-Negativumfragen geschundene Ampel-Regierung, endlich eine wirksame Ablenkung von ihrem multiplen Versagen. Das Schlimmste, was der „schlechtesten Regierung seit 1949“ mitsamt dem unbeliebtesten Kanzler aller Zeiten jetzt passieren könnte, wäre, dass sich die AfD unter dem immensen Druck der Öffentlichkeit einfach auflöste. Schwupp, weg wäre der Außenfeind, der Popanz, der Buhmann, das Schreckgespenst! Wer wäre dann wohl der Schuldige? Die Juden, die Christen, die alten weißen Männer? Letztlich würde den Regierenden bestimmt jemand Neues einfallen.

All denjenigen, die über den verordneten „Antifaschismus“ ins Grübeln kommen, weil sie sich die Fähigkeit zum eigenständigen Wahrnehmen und Denken bewahrt haben, sei zur Ermutigung die Strophe eines Gedichts des christlichen Autors Lothar Zenetti zitiert (vertont von Reinhard Mey):

„Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen. Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein. Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben. Wenn alle mittun, steht allein.“

 

Oliver Zimski ist Übersetzer, Sozialarbeiter und Autor. 2015 erschien sein Kriminalroman „Wiosna – tödlicher Frühling“.

Foto: Pixabay

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H. Stellbrink / 16.02.2024

Lieber Verfassungsschutz, Ihr dürft mitschreiben: Ich hätte nie gedacht, dass es einmal ein Dienst an Demokratie und Rechtsstaat sein könnte, wenn man rechts der Union wählt. Die Mehrheit in diesem Land ist konservativ, aber sie lässt sich aus wahltaktischen und ideologischen Gründen wie Schafe von der Regierung, ihren linken Vorfeldorganisationen, Medien und sogar Behörden auf die Straße treiben, um gegen sich selbst zu demonstrieren. Sie demonstrieren damit für eine Regierung, die sie eigentlich nicht mehr wollen. Man muss den Grünroten lassen: In Agitation, Propaganda und Zersetzung waren sie den Konservativen immer schon überlegen. Man erkennt teilweise die Stasi als Lehrmeister. Die Geschichten, die sie erfinden, verfangen einfach besser, denn die Deutschen sind ein zutiefst romantisches Volk und immer für die gute Sache zu gewinnen, auch wenn sie sie nach Stalingrad führt. Weil sie umso stärker gegen Hitler kämpfen, je länger er schon tot ist, sind in letzter Zeit alle Mitglieder der Weißen Rose. Man spürt förmlich das wohlige Schaudern angesichts des Muts, auf die Straße zu gehen und gegen den industriellen Genozid, den Alice Weidel plant, unter hohem Risiko für Leib und Leben zu demonstrieren. Den Konservativen fehlt einfach die ideologische Begeisterung für den Umbau der Gesellschaft in das ultimative Paradies. Sie wollen Bewährtes erhalten, in Ruhe gelassen werden und nicht immerzu an einem grünen Wolkenkuckucksheim bauen. Das Paradies der Leute vom äußersten rechten Rand ist ihnen übrigens auch massiv zuwider.

Xaver Huber / 16.02.2024

Wenige Worte bringen es auf den Punkt: Alles Nazis, außer Mutti. Exactement!

S.Buch / 16.02.2024

Da sich die (Öko-) Sozialisten einer orwell‘schen Sprache bemächtigen, heißt „Wir sind alle gegen Nazis“ bei zutreffender Deutung „Wir sind alle Nazis“. Ich meine, so stimmt es denn auch. Nun warte ich darauf, dass beim nächsten Lichteraufmarsch der Nazis nicht mehr die Handys leuchten, sondern Fackeln brennen.

Wolfgang Fischer / 16.02.2024

Heut las ich ja noch von der „Zusammenland“ Kampagne, müsste es aber nicht Zusammenbruchland heißen?

Sigrid Leonhard / 16.02.2024

“„Hass ist keine Meinung“, das zweite mit „Alle hassen Nazis“.  Die wackeren Kämpfer gegen Rechts vermögen wahrscheinlich in diesen beiden Botschaften keinerlei Widerspruch zu entdecken, ” Das ist kein Widerspruch, wenn man sich an Merkels Diktum “Wir leben in postfaktischen Zeiten” orientiert. Wir leben anscheinend in emotionalisierten Zeiten und Emotionen orientieren sich nicht an Fakten und (!) faktisch fundierten Meinungen. Deswegen hassen Emotionsgesteuerte völlig grundlos von ihnen substanzlos definierte Nazis.

Klaus-Dieter Zeidler / 16.02.2024

Hunderttausende demonstrieren gegen mich. Nie im Leben war ich mir meiner Gefährlichkeit so bewußt wie heute. Aber wo sind die wirklichen Nazis? Zu Hause? Arbeiten? Angeln? Ich weiß es nicht. Ich kenne nur frustrierte Menschen, die diese Welt nicht mehr verstehen und welche, die einfach einen an der Waffel haben.

Lutz Liebezeit / 16.02.2024

@ Thomas Szabó Ich glaube, die Phantasie geht wieder mit Ihnen durch. Wo genau hat Hitler sich einen “linken Sozialisten” genannt? Ausserdem stand der nicht auf Tautologien. Mussolini war ein bekennender Faschist und der war sein bester Kumpel.

Lutz Liebezeit / 16.02.2024

Was genau haben die Grünen eigentlich erreicht, dass sie sich heute so eine grosse Fr..e erlauben? Die sind ja hervor gegangen aus der Anti-Atomkraft-Bewegung mit der Zielvorgabe, in erster Linie Atombomben abzuschaffen? Und in zweiter Linie die friedliche Nutzung? Die friedliche Nutzung des Urans zu bekämpfen, wird heute gerne als primäres Ziel ausgegeben, was es aber gar nicht war. Und der Ersatz für die recht umweltfreundlichen AKWs ist mehr als zweifelhaft? Die Grünen haben ihr Ziel gar nicht erreicht, die sind einfach rechts abgebogen zu den mächtigen Militaristen, die auch die Hersteller von Atombomben sind, und haben die Zielvorgabe den neuen Machtinteressen angepaßt. Immerhin ballern die amerikanischen “Freunde” mit Mini-Nukes und Urangeschossen in illegalen Kriegen herum? Was ist daran umweltfreundlich? Dass Homosexuelle und Frauen gleichberechtigt auf dem Schlachtfeld sterben dürfen?

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